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Emilio González Ferrín - Ein Spaziergang durch al-Andalus

Emilio González Ferrín

Ein Spaziergang durch al-Andalus

Die Wege des Islam in Andalusien

(Übersetzung aus dem Spanischen: Ulrike Herter & Thomas Stemmer)

 

249 Seiten, broschiert

 

Bei einem Spaziergang denkt man spontan an Erholung und Gemütlichkeit. Der "Spaziergang durch al-Andalus" dagegen fordert den spazierenden Leser heraus und verlangt dessen volle Anteilnahme bei der Lektüre. So wird aus dem geplanten Spaziergang eine globale Reise ohne Langeweile. Reiseführer ist Emilio G. Ferrín, Professor der Arabistik an der Universität von Sevilla. Seine meist in Spanisch verfassten Werke zeigen, dass man Spanier und doch mit Herz und Seele mit al-Andalus verbunden sein kann.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Das heutige Andalusien ist nicht mit dem al-Andalus des Mittelalters identisch. Es ist eine islamische Schöpfung, ohne aber ein Gottesstaat zu sein. Al-Andalus ist weder flächenmäßig noch in seiner Ausstrahlung und Wirksamkeit gleich geblieben. In seinen Anfängen reichte dieses Staatsgebilde bis weit nach Nordspanien und Nordafrika. Es war islamisch, aber in einem höheren Sinne islamisch als z.B. Irak und Syrien. Sein Islam war ein stark von Europa, Afrika und Asien her geprägtes multikulturelles Spezifikum. Bei al-Andalus schließen sich okzidentale und orientalische Prägung - letztere durch die großen Kulturzentren Bagdad und Damaskus - nicht aus. Demographisch betrachtet waren jedoch ´antike´ Romanen und in der Völkerwanderung eingewanderte Westgoten in der Mehrheit. Beide Gruppen hingen bis weit ins frühe Mittelalter hinein mehrheitlich dem Arianismus an. Dieser stand dem Islam näher als das römische Christentum, darum gab es auch zahlreiche Konversionen zum Islam. Ferrín bezeichnet sie als "Muslime neuer Prägung - die Muladíes". Es herrscht jedoch in al-Andalus - nach Mohammed "Kein Zwang in Glaubenssachen" - Religionsfreiheit. Christen und Juden mussten allerdings je nach Region und Herrschaft mehr oder weniger hohe Kopfsteuern zahlen.

In den Städten von al-Andalus lebten als Minderheiten auch Perser, Araber und andere Orientalen und natürlich auch Juden. Es gab von Seiten der herrschenden Muslime jedoch einen oft mehr oder weniger starken Druck zu Konversionen, nicht zuletzt unter der Herrschaft der fundamentalistischen berberischen Almohaden (bis zur Schlacht von Las Navas de Tolosa 1212).

Ferrín räumt mit verschiedenen Missverständnissen und Mythen auf. Seine wichtigste Erkenntnis: "Es handelte sich [in al-Andalus] nicht um drei Kulturen, sondern um eine [Kultur] für drei Religionen." Diese Kultur war sowohl islamisch-arabisch-berberisch, romanisch-westgotisch-christlich als auch jüdisch-hebräisch-sephardisch geprägt. Eine weitere wichtige Erkenntnis von Ferrín: Al-Andalus ist der wahre Erbe der Antike, der griechischen noch mehr als der römischen. Darum auch immer wieder der Bezug auf den griechischen Philosophen Aristoteles, welcher auf dem ´Umweg´ über al-Andalus die mittelalterliche christliche Scholastik beeinflusste. "Der arabische Gräco-Islam schuf das al-andalusische Denken und dieses befruchtete Europa." Dritte Erkenntnis: Die sagenumwobene Reconquista, die angeblich viele Jahrhunderte dauerte, war eine über verschiedene Phasen praktizierte Conquista (Eroberung) oder einfach ein Mythos.

Ferrín schildert in einem großartigen Stil, der noch in der Übersetzung durchschimmert, die wichtigsten Lebensbereiche und Epochen bzw. Phasen der Geschichte von al-Andalus. Er skizziert auch die Herrschaftssysteme der Omayaden, Almoraviden, Almohaden, die Taifas (dezentralisierte Herrschaften) etc. und versteht es auch, wichtige Herrscher und Persönlichkeiten, wie z.B. Abd-ar Rahman I (8. Jahrhundert), zu würdigen.

Ferrín bringt auch wichtige Fakten zu Wirtschaft, Gesellschaft, Infrastruktur und den Wissenschaften. Einige Highlights: Sevilla soll bereits um 1000 herum rund eine Million Einwohner gehabt haben. Der Guadalquivir soll 600 öffentliche Bäder gespeist haben. Dann eine viele Jahrhunderte lang vergessene Tatsache: "Im Libro de los Reyes, dem ´Buch der Könige´ des borgesianischen Firdús wird beispielsweise ein Kaiserschnitt beschrieben." Weitere Erkenntnisse dieser Art bietet die Lektüre.

Für einen Forscher oder interessierten Laien, der sich schon länger mit al-Andalus beschäftigt hat, ist das Buch von Ferrín ein wahrer Genuss. Ein Leser, der erstmals in die Materie "al-Andalus" einsteigt, sollte zuvor oder zumindest begleitend ein einführendes Werk in die Geschichte von al-Andalus lesen. Ich empfehle dafür den Beitrag "Die jüdisch-islamische Kultur des alten Andalusien", in: Beiträge zur Kulturgeschichte des Judentums und der Geschichte der Medizin", Band I, hrsg. von der Nicolas-Benzin-Stiftung Frankfurt am Main 2009 (www.nicolas-benzin-stiftung.de), S. 82-127.

Für Leser, welche gut Spanisch können und viel Zeit haben, kommt auch das voluminöse Standardwerk "Historia General de Al Ándalus. Europa entre Oriente y Occidente" (Allgemeine Geschichte von Al Andalus. Europa zwischen Orient und Okzident"), Verlag Almuzara, 2. Aufl., Sevilla 2007 in Frage.

Wilhelm Kaltenstadler 28. Mai 2013

Emilio González Ferrín - Ein Spaziergang durch al-Andalus

SKU: ISBN 978-3-88309-807-4
30,00 €Price
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